Sonntag, 10. Januar 2016

Reiten im Damensattel, ein Kulturgut

Aus der Gegenwart nahezu völlig verdrängt, haben sich die Stiftung klassische Dressur und die  Reitgemeinschaft Felix Bürkner e.V. den Erhalt dieses Reitstiles zum Ziel gemacht.  Interessierten Reiterinnen bieten wir Ausbildungen an. 

Anne Heise, Feine Deern (Han.)


Es beginnt im Mittelalter (ca. 500-1500)

Zum Transport, auch heute noch in den südlichen Ländern auf Eseln, läßt sich die Landbevölkerung seitwärts tragen. Es werden nur Tätigkeiten für den Richtungswechsel bzw. für das Antreiben vorgenommen. Wenn auch nicht in der heutigen Form, so gibt es die Damensättel doch schon lange. Im 12. Jahrhundert kann man praktisch nur vom Sattelkissen sprechen. Während der Kavalier die Zügel führte, saß die Dame seitlich auf dem Pferd und hatte die Füße auf einer kleinen Plattform abgestützt. Die Ritterschaft schuf sich ein Ideal - die Frau in der Rolle als passives, hilfloses Wesen, das man beschützen und erobern muss. Dieser Trend verstärkte sich, als der Ritter auf dem Schlachtfeld seine Bedeutung verlor. So wurden Turniere veranstaltet. Der Mann konnte seine Ritterlichkeit bei Hofe beweisen. Aber was machte man bei Jagden, die Zuschauerinnen mussten hin transportiert werden. Die Damen entwickelten auch einen Jagdeifer. So waren es die Jagdreiterinnen, die über die Jahrhunderte zur Weiterentwicklung beitrugen. Durch die Drehung des Oberkörpers nach vorne, wurde es den Damen möglich, das Pferd neben dem Manne ebenbürtig zu führen. Anna von Böhmen soll um 1382 die erste gewesen sein, nur den linken Fuß auf die Planchette zu setzen um den Oberkörper zu drehen. Aber dieser Sitz war weit davon entfernt, sicher zu sein. Daher wurde am Sattel vorne ein Sattelhorn angebracht. 

Anne Heise, Feine Deern (Han.)

Renaissance (1490-1590) 

In Frankreich wurde um 1580 zur Zeit - eine enthusiastische Reiterin, das zweite Horn eingeführt. Es befand sich wie das erste Horn oben auf dem Sattel. Katharina von Medici legte ihr rechtes Bein über den Knauf an der Seitenlehne, der zum Anhalten diente und hatte einen sichereren Sitz als bisher üblich. Sie revolutionierte den Damensattel. Das Reiten im Damensattel wurde zum Freizeitvergnügen der Damen der Oberschicht. Francois de Garsault (1770) und Federigo Mazzuchelli (1803) schrieben die ersten Bücher über das Reiten im Seitsitz. Über zwei Jahrhunderte blieb der Damensattel unverändert. Rittmeister Charles Pellier wird als Erfinder des schraubbaren Horns (1830) geführt. Das untere Horn legt sich über den linken Oberschenkel und sorgt für einen festen Sitz in allen Situationen. Ab diesem Zeitpunkt ritten die Damen der Oberklasse ausschließlich im Damensattel. Theoretisch konnten die Frauen auf diesen neuen Sätteln mit den drei Hörnern auch galoppieren und springen, allerdings geziemte es sich wohl kaum für eine adlige Dame, wie eine Furie im Gelände herumzuspringen.

Die Gründerzeit (1850-1920)


Erst die als begeisterte Amazone bekannte Kaiserin Elisabeth v. Österreich-Ungarn (1837-1898) machte das Jagdreiten auch für Frauen populär. Elisabeth war von Jugend an eine ausgezeichnete und waghalsige Reiterin, die sämtliche Disziplinen vorbildlich im Damensattel beherrschte. In Wien unternahm sie regelmäßig Dressurübungen in der Hofreitschule, in Ungarn folgten ausgedehnte schnelle Geländeritte und seit 1876 bereiste sie mehrmals England mit umfangreichem Gefolge und einer Auswahl ihrer besten Jagdpferde, um in Gesellschaft des damals berühmten Parforcereiters Bay Middleton an den englischen Fuchsjagden teilzunehmen. Viele Frauen taten es ihr nach, wobei sich herausstellte, dass auch die neuen Sättel nicht ganz gefahrlos waren. Das zweite obere Horn war nutzlos und wurde entfernt. Durch den Balanceriemen, dieser verläuft bei den modernen Damensättel von der vorderen linken Sattelseite aus nach hinten oder ist am Bauchgurt angenäht, und durch die sogenannten Steigbügel mit Sicherheitsschloss wurden die Damensättel sicher. 

Mitte des 19. Jahrhunderts erwachte das Volk und kämpfte für Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, d. h. die Bürgerlichen kamen zu Wohlstand und konnten sich Freizeitpferde halten. Es entstanden Reitschulen. Man promenierte, ritt bei Hubertusjagden mit, hielt in Reitschulen Reitvorführungen ab = Vorreiter der heutigen Turnierreiterei. Aber ab diesem Zeitpunkt drängten immer mehr Frauen zum Herrensattel, um ihren Kavalieren nicht nachzustehen. Der Reitsport ist heute einer der wenigen Sportarten, in denen Damen und Herren sich gleichberechtigt messen können. In der heutigen Zeit wird in England sehr viel im Damensattel geritten - gefördert durch Königin Elisabeth II.

Welche reitende Frau bzw. welches junge Mädchen träumt nicht irgendwann einmal davon im Damensattel zu reiten? 

Anne Heise, Feine Deern (Han.)
Hat „Frau“ einmal den Entschluss gefasst, tauchen aber auch schon die ersten Fragen und Probleme auf. Wo bekomme ich einen Damensattel her? Welche Voraussetzungen müssen bei Pferd und Reiterin vorliegen? Wer kann mich im Damensattelreiten unterrichten? 

Jeder der sich mal ernsthaft darum bemüht hat einen Damensattel zu erwerben, wird schnell festgestellt haben, dass diese rar und vor allen Dingen sehr teuer sind. Aufgrund der Tatsache, dass es nur sehr wenige Damensattelreiterinnen gibt, lohnt es sich für die gängigen Sattlereien nicht, erschwingliche Damensättel in Serie zu produzieren. Da die Blütezeit der Damensattelreiterei um die Jahrhundertwende bis zum Beginn des zweiten Weltkrieges war, sind die guten Damensättel aus dieser Zeit inzwischen echte Antiquitäten.
Bevor man eine Investition für einen solchen Damensattel in Höhe von ca. €3.000 bis €4.500,00 tätigt, möchte man doch vielleicht erst einmal wissen, ob Pferd und Reiterin überhaupt für die Damensattelreiterei geeignet sind. Grundsätzlich kann jedes Pferd/Pony, egal welcher Rasse und Geschlecht im Damensattel geritten werden. Da ein Damensattel aber etwas weiter hinten auf dem Pferd liegt (schließlich muss ja die volle Länge des rechten Oberschenkels auf der Sitzfläche Platz finden), sollte es sich nicht um ein extrem kurzes  Pferd/Pony handeln, da ansonsten die Gefahr besteht, dass man auf der empfindlichen Lendenpartie des Pferdes sitzt. Auch sollte das Pferd/Pony eine bereits gut ausgebildete Muskulatur haben und mindestens bis zur Klasse L (angehende Versammlung) ausgebildet sein. Liegt der Ausbildungsstand deutlich darunter, wird es für die Reiterin sehr schwer – wenn  nicht sogar unmöglich werden, das Reiten im Damensattel zu erlernen. Da der rechte Schenkel der Reiterin lediglich durch den Reitstock oder Gerte ersetzt wird - diese wird genauso eingesetzt wie die normale Schenkelhilfe -  sollte das Pferd im „Herrensattel“ gut auf diese Schenkelhilfen reagieren. Auch sollte es sich um ein artiges aber trotzdem gehfreudiges Pferd handeln – schließlich scheidet die beiderseitige energisch vorwärtstreibende Schenkelhilfe per se aus. Außerdem gibt es wohl kein unschöneres Bild als eine Damensattelreiterin, die sich verzweifelt bemüht ihr Pferd vorwärts zu bekommen, was aufgrund des heftig treibenden linken Schenkels häufig nur zu einem schief daher laufenden Pferd führt..Auch die Damensattelreiterin sollte bereits über eine gewisse dressurmäßige Grundausbildung verfügen und mit der klassischen Hilfengebung vertraut sein. Auch wenn der Vergleich vielleicht etwas hinkt – aber ein Fahrlehrer wird sich sehr schwer damit tun seinem Fahrschüler die Bedienung eines Formel-1-Wagens beizubringen, wenn dieser noch nicht Autofahren kann.
Anne Heise, Feine Deern (Han.)

Einen Ausbilder für das Reiten im Damensattel zu finden ist mindestens genauso schwierig wie einen passenden Damensattel. Bei fast allen der vorgenannten Problemen kann die Stiftung Klassische Dressur in Soltau in Zusammenarbeit mit der Reitgemeinschaft Felix Bürkner e.V.  behilflich sein.
Wer dies gerne mit seinem eigenen Pferd/Pony gemeinsam erlernen möchte, aber noch keinen Damensattel besitzt, hat die Möglichkeit für die Unterrichtsstunden einen Damensattel auszuleihen – natürlich vorausgesetzt er passt Pferd und Reiterin.
Für die ganz zaghaften Damen besteht dann noch die Möglichkeit sich zunächst theoretisch mit dem Thema auseinander zu setzen – in Kombination mit einer praktischen Demonstration. 
Zu guter Letzt soll natürlich auch noch die Kleiderfrage angesprochen werden. Ohne Frage gehört zum Reiten im Damensattel auch ein entsprechendes stilechtes Outfit. Dies muss aber keinesfalls von Anfang an vorhanden sein. Zum Erlernen und insbesondere zum Ausprobieren reicht eine ganz normale Reitbekleidung vollkommen aus – zumal man es als Ausbilder mit den Sitzkorrekturen auch etwas leichter hat, wenn nicht die halbe Dame unter einem voluminösen Kleid verschwindet.

(c) Stiftung klassische Dressur, Verfielfältigung auch auszugsweise nur mit Genehmigung der Stiftung klassische Dressur, Text: Clemens Heise, Stiftung klassische Dressur, Für die Bereitstellung der Fotos bedanken wir uns bei Frau Tina Pantel (PSV Hannover e.V.) und Frau Renate Bismayer.

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